Wissing, Marianne
HEIMAT bedeutet für mich GEBORGENHEIT. Es bedeutet auch Familie, Bekannte, Freunde, Düfte, Geschmack, Sprache, Licht, Regen und Wind. GEBORGENHEIT heißt auch materielle Geborgenheit. Ein sicheres Einkommen, ein schützendes Dach über dem Kopf, Geld für Essen, Trinken, Kleidung.
|
|
"Mein Privatgrün", Acryl, Marianne Wissing |
Baumheld Marktplatz | Baumheldin Kastanie |
Erläuterung zu den Fotos:
Meine Baum – HeldInnen, die auf dem Hertener Marktplatz stehen, nenne ich heldenhaft, weil sie unter widrigen Bedingungen leben, überleben. Wo finden ihre Wurzeln in der Tiefgarage Nahrung, wohin strecken sie ihre Fühler nach Wasser aus? Wo gibt es Licht für die Kastanie, gestutzt, geduldet zwischen Häusern und Müllcontainern?
Sie erinnern mich an Geflüchtete aus Armuts- und Kriegsgebieten, die hier eine neue HEIMAT finden wollen. Ihr Überleben ist hier in Deutschland materiell gesichert. Doch können Sie hier eine Heimat finden? Lassen wir sie auch in unsere Herzen und leben mit ihnen? Einfach weil wir ihr Menschsein als genauso wertvoll wie unseres betrachten.
Lasst uns einfach freundlich und wertschätzend zu den ÜberlebenskünstlerInnen aus fernen Ländern sein.
Mehr über Marianne Wissing:
Streiflichter zu meiner Vita mit dem Thema – HEIMAT und BÄUME
Aufgewachsen bin in der Nähe zur Zeche Graf Bismarck in Gelsenkirchen-Erle. Das war eine der ersten Bergwerke, die damals geschlossen wurden. Die Unruhe der Erwachsenen, die Sorgen habe ich als Kind gespürt. Nicht alle Menschen lebten damals in den 50er und 60er-Jahren im „ludwigerhardwirtschaftswunderland“ und fuhren mit dem VW Käfer nach Italien.
Der Vater war Schreinermeister, seine gestreifte Arbeitsjacke roch nach Schweiß und Holz. In den Taschen waren Sägespäne. Manchmal brachte er einen Sack voll Späne mit nach Hause, damit polsterte ich den Puppenwagen aus. Meine Puppe war nicht so kuschelig, sie hatte keine echten Haare und ich merkte, dass ihr Kopf hinter den klappernden Augen hohl war. Ich nannte sie „Ida“ nach einer meiner Großmütter. Die war aber nicht hohl, sondern überlebte als Kriegerwitwe mit vier kleinen Kindern, indem sie für andere Leute die Wäsche wusch. Sie wurde 95 Jahre alt, mit nur einem Lungenflügel.
Meine Mutter gab mir HEIMAT, weil sie mich liebte und immer etwas zu Essen auf den Tisch brachte, mal wohlschmeckendes, mal weniger. Außerdem putzte sie viel und hielt alles immer sauber, das war mir sehr recht, denn so konnte ich mich auf die wichtigen Dinge im Leben konzentrieren: Ich entdeckte ferne Welten in Büchern. Möglichst abenteuerliche Geschichten zogen mich „virtuell“ weg von meiner HEIMAT.
Dem Alltag entfliehen konnte ich in einem Kastanienbaum, in dem ich von großen grünen Blättern umhüllt war. Ich fühlte mich in ihm geborgen.
Für ein Jahr lag meine HEIMAT mal mitten im Arnsberger Wald. Das war schön und ich liebte den Duft und die Geräusche der hochgewachsenen Bäume. Mit den Sitten und Gebräuchen wie Strammstehen und Holzvögel abschießen bei Schützenfesten fremdelte ich etwas.
Ich war noch niemals in New York, geschweige im sonstigen Amerika. Einmal, inden 70er-Jahren war ich mit meinem Freund und meinem Bruder mit dem VW-Bus in Marokko, aber nicht zum Kiffen. Rachid, den wir in einem kleinen Dorf kennenlernten, wollte seine HEIMAT verlassen und mit nach Deutschland kommen. Er dachte, wir leben hier im Paradies. Wenn ich mit seinen Augen das materielle Leben in meiner HEIMAT betrachte, muss ich sagen: Er hatte recht.
Als die Kinder klein waren, segelten wir mit einem kleinen Boot auf der Nordsee. Einige Stürme haben mein Traumakonto belastet. Auf einem Boot kann ich keine HEIMAT finden.
Ich habe mir angewöhnt, fast jeden Tag in unserem wundervollen Schlosspark in meiner HEIMAT Herten spazieren zu gehen. Dort treffe ich immer mir bekannte Menschen wie Вubu, der schon jeden Wasser- und sonstigen Vogel, der dort umherfliegt, mit seinem Wahnsinnszoomfotoapparat fotografiert hat.
Mittlerweile haben auch die Bäume für mich Gesichter bekommen. Davon ein anderes Mal mehr.